Andreas Winter 
Auf die lange Sicht bereuen wir die Dinge, die wir nicht gemacht haben

Vom Wert der Freiheit
Artikel, geschrieben für das Grüne Stadtblatt im Januar 2015

Als ich am Montagabend, dem 5. Januar 2015, auf dem Schlossplatz in einer überwältigenden Menge von Stuttgarterinnen und Stuttgartern unterschiedlichster Herkunft, Hautfarbe, Nationalität, sexueller Orientierung und verschiedensten Glaubens, Alters und Einkommens in dem Gedanken vereint stand, in Stuttgart zu zeigen, dass Diskriminierung, Hass und Ausgrenzung hier in dieser unseren Stadt keinen Platz haben, da wurde mir trotz eisiger Temperaturen warm. Dank an die AnStifter, dass sie die Initiative ergriffen haben für diese Kundgebung! Sie konnte zeigen: Bei uns in Stuttgart sind Menschen willkommen, die in Not ihr Land und ihre Heimat verlassen mussten und nun einen Platz in unserer Gesellschaft finden wollen. Die Menschen, die vor Terrorismus und diktatorischen Regimen, vor Hunger und Armut, vor Diskriminierung, Ausgrenzung und Folter fliehen, haben ein Recht darauf. Und das vom Oberbürgermeister verwendete Zitat Hölderlins stand über der Kundgebung wie ein Bekenntnis und eine Forderung zugleich: „Glückliches Stuttgart! Nimm freundlich den Fremdling mir auf!“ Keine zwei Tage später, am Vormittag des 7. Januars, erschütterte uns alle die Nachricht von heimtückischen Morden durch fanatisierte Menschen unter Missbrauch einer Religion. Ein Angriff auf uns alle und unser aller Freiheit. Ja, es ist dieser Wert der Freiheit an sich, der hier angegriffen worden ist – der Freiheit, anders zu denken, zu reden, zu schreiben und zu zeichnen wie auch zu leben, zu glauben und zu lieben. Freiheit setzt eine Akzeptanz oder zumindest Toleranz des Anderen und des Andersartigen voraus. Dazu gehört die Freiheit der Religion und Religionsausübung ebenso wie die Freiheit der Kunst, der spitzen Feder und der Satire. Diese brutalen Morde sind durch nichts zu rechtfertigen, und wer darauf mit dem Ruf nach Einschränkung von Freiheit reagiert, tut den Opfern des Massakers nochmaliges Unrecht an. Doch Freiheit alleine wäre zu wenig – weswegen die Trias der Begriffe Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bis heute maßstäblich ist. Dies wie auch die immer wieder aufs Neue zu verteidigende Würde jedes Menschen gilt es zu erhalten und auch zu verteidigen. Was wir gewinnen können, ist eine Vielfalt, die (so sie toleriert und schließlich akzeptiert wird) unsere Gesellschaft bereichert.

 
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