Andreas Winter 
Auf die lange Sicht bereuen wir die Dinge, die wir nicht gemacht haben


Von der autogerechten Stadt zur lebenswerten Innenstadt

Artikel, geschrieben für das Grüne Stadtblatt im Frühjahr 2017
nach der Rede zum Thema beim Frühjahrsempfang der Fraktion im Stuttgarter Rathaus


In der Zeit des Wiederaufbaus der Stadt in den 1950er Jahren und den Jahrzehnten danach hat sich Stadtentwicklung stark an der auto gerechten Stadt orientiert. Was zu Beginn eine Erfolgsgeschichte war, holt uns heute als Belastung für die Gesundheit, mit hohen Emissionen an Luftschadstoffen und Lärm und einem irrsinnigen Platzverbrauch im engen Kessel der Stuttgarter City ein. Die Zulassungszahlen der PKWs stiegen kontinuierlich an. Hierzu ein paar Zahlen in Baden-Württemberg: Im Jahr 1960 rollten noch 1,1 Millionen Autos durchs Land, 1970 waren es schon 2,4 Millionen, 1980 4,3 Millionen, 1990 5,7 Millionen und seit 2001 ist die Sieben-Millionen-Marke erreicht. Allein die Landeshauptstadt Stuttgart zählt Ende 2014 348.103 zugelassene Fahrzeuge. An diese Zahlen haben auch die damals autoverliebtesten Stadtplaner im Traum nicht gedacht. 

Gleichzeitig wächst das Bewusstsein der Menschen in der Stadt und im Land, dass das so nicht weitergehen kann und darf. Selbst für so radikale Maßnahmen wie Fahrverbote gibt es inzwischen mehrheitlich Zustimmung – keineswegs mehr nur von der Wählerschaft der Grünen, sondern auch bei den Wähler*innen von SPD (62 Prozent) und CDU (56 Prozent). Umso erstaunlicher, dass diese Botschaft bei manchen Mandatsträger*innen dieser Parteien wohl noch nicht angekommen ist. Die Umweltzone war ein wichtiger und richtiger Schritt. 

Nach Dieselgate und einem miserablen Umgang seitens der Automobilindustrie mit ihren eigenen Kund*innen sind Maßnahmen wie die Blaue Plakette nicht nur der logische Schritt, sondern zwingend geboten. Bundesverkehrsminister Dobrindt steht auf der Bremse, während aus Brüssel die Forderung nach verschärften Zufahrtsbeschränkungen kommt. Stuttgart hat mit dem Feinstaubalarm das richtige Zeichen gesetzt. Es ist ein großes Verdienst des Oberbürgermeisters, mit welcher Konsequenz er den von uns unterstützten Weg des Feinstaubalarms gegangen ist und damit erreicht hat, dass hier ein Bewusstsein geschaffen wurde – in der Region und über ihre Grenzen hinaus. Sogar eine Mehrheit der CDU-Anhänger*innen im Land würde die drohenden Fahrverbote mittragen. 

Darüber hinaus hat Stuttgart kontinuierlich an der Verbesserung des Stadtraums gearbeitet. Mehr Grün in der Stadt, mehr Bäume für das Stadtklima und begrünte Gleisanlagen (da können es gerne mehr werden!) bis zur Mooswand, um nur einige wenige Maßnahmen zu nennen. Die Autorennstrecke Theo wurde beruhigt, Stadträume mit einer Gleichberechtigung von Auto-, Rad- und Fußverkehr entwickelt und vieles mehr. Dazu gehören auch Geschwindigkeitsbeschränkungen zur Verflüssigung, aber auch zur Minderung von Lärm- und Emissionsbelastungen aller Art. 

Wir meinen, das Leitbild der autogerechten Stadt ist überwunden. Es steht längst an, den Stadtraum wieder neu zu denken und zu einer Begegnungszone für Menschen, mithin zu einer menschgerechten Stadt zu entwickeln, in der es Freude macht, sich aufzuhalten und zu flanieren. Wurde es früher einfach hingenommen, dass der Mensch in Unterführungen abtaucht, damit oben das Auto rollt, so müssen wir uns daranmachen, in umgekehrter Richtung zu denken. Damit meinen wir nicht neue und zugleich anachronistische Straßenprojekte oder gar ins Zentrum der Stadt führende Tunnelmoloche, die den Verkehr aus einem Tunnelmund direkt an die Kulturmeile spucken, die wir schließlich aufwerten wollen. Nein, wir müssen erreichen, dass mehr Menschen mit öffentlichen Verkehrs mitteln fahren oder das Fahrrad nutzen und wir zu einer nachhaltigen Mobilität im Miteinander der jeweils sinnvollsten Fortbewegungsart kommen. Dies entlastet die Umwelt, den Stadtraum, aber auch den tatsächlich notwendigen motorisierten Individualverkehr: Lieferverkehre, Handwerksfirmen, Pflegedienste und viele andere mehr. Hiermit, dem Ausbau des Radverkehrs und des ÖPNV, beschäftigen sich weitere Artikel in diesem Heft. 

Unter diesem Gesichtspunkt haben wir im November 2016 einen Antrag eingereicht, der die Innenstadt zu einer urbanen Zone der Begegnung weiterentwickeln will. Wo Menschen zu Fuß unterwegs sind, wo direkte Begegnungen von Mensch zu Mensch stattfinden, da lebt die Stadt auf. Wird der öffentliche Raum ansprechend gestaltet, gewinnt die Stadt einen Mehrwert an Lebensqualität für ihre Bürger*innen und für ihre Gäste. Etliche Städte wie Bordeaux, Kopenhagen, Barcelona oder Melbourne haben ganze Innenstädte und Quartiere zu anregenden, Austausch und Kommunikation ermöglichenden öffentlichen Räumen entwickelt. Davon profitieren Anwohnerschaft, Einzelhandel, Gastronomie und Gewerbe gleichermaßen. Intelligente Verkehrskonzepte und nachhaltige Stadtentwicklung schaffen hierfür die Grundlagen. 

Auch die Stuttgarter Innenstadt hat in den zurückliegenden Jahren eine Aufwertung erfahren. Durch neue Beläge auf der König- und Marienstraße, der Begegnungszone in der Tübinger Straße, den beiden Fahrradstraßen bis hin zur Neugestaltung der Lautenschlager- und der Kronprinzstraße. Es sind attraktive öffentliche Räume entstanden, die zum Verweilen einladen. Diese umgesetzten Maßnahmen, den öffentlichen Raum attraktiver zu gestalten, werden zu oft durch eigentlich unnötigen Verkehr konterkariert. Wir alle kennen den Parksuchverkehr und das „Cruisen“ in der Bolzstraße, die die Königstraße am Schlossplatz kreuzt. Hier wollen wir erst einmal testen, die Zufahrt auf Anwohner*innen, Liefer- und Parkhausverkehr zu beschränken. Sukzessive können danach die Einfahrten innerhalb des City-Rings geprüft werden. Dass einer der schönsten Plätze, der Ehrenhof im Neuen Schloss, als Parkplatz missbraucht wird, ist nicht mehr hinnehmbar. Wir werden weiter daran arbeiten, dem Ministerium dies klarzumachen. 

Um einzelne Stationen am City-Ring per ÖPNV zu verbinden und die U 1 nach Bad Cannstatt zu entlasten, muss dort eine Buslinie eingerichtet werden. Dass dabei die modernsten und emissionsärmsten Busse möglichst im Fünf-Minuten-Takt zum Einsatz kommen, ist für uns selbstverständlich – diese Pilotlinie für Stuttgart kann so zum echten Pionierprojekt für Mobilität werden. Dass wir diesen City-Ring, der die Stadt auf brutalste Weise in Manier einer bis zu achtspurigen Autobahn zerteilt, auf der ganzen Strecke städtebaulich betrachten und aufwerten müssen, versteht sich eigentlich von selbst. Dass die sogenannte Kulturmeile davon ein wichtiger Teil ist, sehen wir auch, aber wir möchten bewusst den Blick darüber hinaus lenken. Gerade in der Automobilstadt Stuttgart müssen wir intelligente Lösungen zu einer nachhaltigen Mobilität fördern und fordern. Mobilität, die dem Menschen dient und dabei hilft, die Stadt zu einem lebenswerteren und attraktiveren öffentlichen Raum zu entwickeln.


 
Email