Andreas Winter 
Auf die lange Sicht bereuen wir die Dinge, die wir nicht gemacht haben

Erklärung Austritt Fraktion und Partei

Fraktion Bündnis 90/GRUENE im Stuttgarter Rathaus und
Partei Bündnis 90/Grüne KV Stuttgart

Liebe Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion,
werte Mitglieder des Kreisvorstandes!

Aus Anlass meines Austritts aus Partei und Fraktion möchte ich heute einige Gedanken aus meiner Zeit als Fraktionsvorsitzender teilen:
Im Jahr meines Amtsantritts 2015 gelang es uns, in einem breiten Konsens sämtliche notwendigen Beschlüsse zur Unterbringung von Geflüchteten zu treffen. Mit der dezentralen Unterbringung, einer funktionierenden Verwaltungseinheit und einer überwältigenden Hilfsbereitschaft in der Stadtgesellschaft hat Stuttgart Maßstäbe gesetzt.

In den Jahren 2017 ff. habe ich maßgeblich an Beschlüssen wie der "Lebenswerten Innenstadt", "Stuttgart Fahrradstadt" und der „B14“ mitgewirkt. Auch der Beschluss zur Klimaneutralität 2035 ist für mich von großer Bedeutung. Hier haben wir alle noch viel vor uns und die nächsten Jahre werden entscheidend sein, ob es uns gelingt, dieses Ziel zu erreichen. Von großer Bedeutung ist es, die Bürger*innen der Stadt mitzunehmen und für dieses gemeinsame Ziel zu gewinnen.

Wir als Stadt haben Weichen gestellt: z.B. die energetische Sanierung (450 Mio) der eigenen Gebäude oder die Mittel für die Umstellung der SSB-Busflotte auf emissionsfreie Antriebe oder die Aufstockung der Mittel für die SSB und Stadtwerke im Ganzen. Mit dem Beschluss zum Klimavorbehalt haben wir noch vor wenigen Monaten erreicht, dass neben den Kosten in EURO und Cent mittlerweile quasi als zweite Währung CO2 in den Vorlagen ausgewiesen werden muss. Nur so kann eine Abwägung auf Basis von Fakten getroffen werden.

Während der Coronakrise haben wir uns um Institutionen gekümmert, die wichtig für die Stadtgesellschaft sind, und eine umgehende Sondersitzung verlangt, als der Ordnungsbürgermeister die Coronaleugner durch die Stadt marodieren ließ. Wir haben Kundgebungen organisiert und waren an der Seite der Kunst und Kultur, als die AfD unsägliche Anfragen zur Herkunft von Künstlern stellte.

In vielen anderen Bereichen haben wir die Stadt vorangebracht, von der Eröffnung des "Hotel Silber", der John Cranko Schule, der Wagenhallen, durch die Beschlüsse zum Haus für Film und Medien bis zur Schulsanierung und dem Ausbau der vorschulischen Kinderbetreuung. Das Sportbad ist ein Beispiel gelungener Nachhaltiger Bauweise, das Mineralbad Berg ist wieder offen. Trotz vielfältiger Krisen haben wir Fortschritte erzielt. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die nächsten Jahre weitere Jahre der Umsetzung sein müssen und viele Projekte müssen weiterentwickelt werden und haben noch gewaltige Hürden vor sich.

4 Doppelhaushalte haben wir in meiner Amtszeit als Vorsitzender maßgeblich mitgestaltet. Die Mehrheitsfindungen waren genauso wie bei vielen genannten Sachbeschlüssen vielfältig und an Gemeinsamkeiten orientiert.  Hier gilt mein besonderer Dank auch meinen jeweiligen Co-Vorsitzenden in diesen Jahren.

Konfrontation im politischen Geschäft ist manchmal nötig, aber die Gemeindeordnung in Baden-Württemberg begünstigt sachorientierte Entscheidungen mit wechselnden Mehrheiten zum Wohl der Stadt. Das setzt voraus, dass man sich fraktionsübergreifend – auch wenn gerade mit einer anderen Konstellation Entscheidungen getroffen werden – mit Achtung, mit Respekt und Wertschätzung begegnet. Leider fand meine Suche nach Gemeinsamkeiten und Kompromissen nicht mehr die Unterstützung von Partei und Fraktion. Der Stuttgarter Zeitung zumindest wurde dies aus Partei- und Fraktionskreisen derart vermittelt, dass im Sommer 2022 ein Artikel über meine Jahre als Fraktionsvorsitzender erschien, der diesen Bruch deutlich dokumentierte und unwidersprochen blieb.   Siehe: https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.bei-den-stuttgarter-gruenen-rumort-es-warum-es-bei-den-gruenen-gaert.364af2f8-c744-4b5a-b3ca-7a16502bf0d0.html


Unabhängig davon hatte ich geplant, nicht mehr als Spitzenkandidat für die Partei im Wahlkampf 2024 anzutreten. Für den Wechsel im Fraktionsvorsitz haben wir gemeinsam den Sommer 2023 gewählt. Dies geschah einerseits, um dem neuen Spitzenkandidaten genügend Zeit zu geben, sich beruflich auf die ganz wesentliche Mehrarbeit als Fraktionsvorsitzender der größten Fraktion im Rat vorzubereiten und andererseits früh genug war, um Zeit zu haben, sich für den Wahlkampf auch außerhalb der Fraktion in der Rolle des Fraktionsvorsitzenden entsprechend zu profilieren und in der Tagespolitik wie auch in den Haushaltsberatungen eigene Akzente zu setzen und stabile Mehrheiten im Rat zu organisieren.

Danach habe ich mich entschieden, nicht mehr für Bündnis 90/Die Grünen zu kandidieren. Siehe: https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.kommunalwahlkampf-ein-junger-gruener-tritt-zurueck-ein-alter-nicht-mehr-an.4b31b3d1-83b3-4c5a-ae8a-eb5cf4ca977b.html

Eine neue Konstellation ergab sich innerhalb der letzten Monate im Rat selbst. Ich kandidiere nun mit der “Stuttgarter Liste“, gemeinsam mit Laura Halding-Hoppenheit und Dr. Marco Rastetter, die bereits im Gemeinderat sind, und mit anderen Persönlichkeiten der Stadtgesellschaft zur Kommunalwahl 2024. Ich sehe in dieser neuen Kraft für Stuttgart die Chance, innerhalb eines vielfältigen Gemeinderats der Landeshauptstadt für die Stadt wirken zu können. Ob dies gelingt, entscheiden am 9. Juni 2024 die Wählenden in der Stadt.

Für mich ist klar, dass ich dies weder als Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN noch als Mitglied der Partei tun kann. Deshalb trete ich aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen sowie aus der Fraktion im Stuttgarter Rathaus mit Wirkung zum 23. März 2024 aus.
Dieser Schritt fällt mir keineswegs leicht, aber er ist notwendig und auch folgerichtig.
Stuttgart, den 21. März 2024
Andreas Winter

 
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